Stellungnahme zur Lage in Afghanistan

Help – Hilfe zur Selbsthilfe | Bonn, 10. Januar 2023

“Die Hilfe zur Selbsthilfe bestimmt unser Handeln. Wir fördern die eigenen Anstrengungen von Menschen, die von Krisen bedroht oder betroffen sind. Help stärkt die Überlebensfähigkeit, verbessert die Lebensumstände und steigert die Resilienz betroffener Menschen weltweit. Wir helfen bedarfsgerecht und umweltbewusst in Anerkennung der Gleichheit aller Menschen in ihrer Vielfalt und ihren Lebenslagen. Dadurch leisten wir einen Beitrag zu nachhaltigem Wandel im Sinne unserer Vision.”

Gemäß unserer Vision und unseres “Mission Statements” sind wir der Gleichheit aller Menschen verpflichtet. Dies betrifft in vielen Kontexten insbesondere die Situation der Frauen und Mädchen. Ebenso steht für uns eine bedarfsgerechte humanitäre Hilfe im Mittelpunkt unseres Handelns und damit eine Hilfe nach dem Maß der Not, ausgerichtet an den humanitären Prinzipien und mit dem Ziel, das Überleben von besonders gefährdeten Menschen in Krisen und Katastrophen zu sichern.

Help ist den Menschen in Afghanistan in besonderer Weise und seit Jahrzehnten eng verbunden. Unsere Organisation wurde 1981 gegründet, um den Millionen von Menschen zu helfen, die infolge der sowjetischen Militärintervention in Afghanistan auf der Flucht waren. Seit nunmehr über 40 Jahren arbeiten und wirken unsere Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Unser duales Mandat beinhaltet dabei Maßnahmen der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit.

Die Missachtung der Rechte von Frauen und Mädchen in Afghanistan durch die repressive Politik der Taliban verurteilen wir auf das Schärfste. In unseren Projekten vor Ort versuchen wir alles in unserer Macht Stehende zu tun, um diese Lage zu verbessern und die Teilhabe von Frauen und Mädchen kontinuierlich zu ermöglichen und zu stärken. Die neueste Verschärfung dieser Situation durch die Veröffentlichung des Ministerialdekrets seitens der Taliban zum Arbeitsverbot von Frauen in Nichtregierungsorganisationen (NRO) hat uns und unser Team im Land tief erschüttert und ist ein weiterer Tiefpunkt der Situation in Afghanistan nach der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021.

 

Vorläufige Pausierung, aber keine Einstellung von humanitärer Hilfe

Nach der Veröffentlichung des Ministerialdekrets haben wir zunächst alle Projekte und Maßnahmen im Land pausiert und die Lage gründlich analysiert. Hierbei haben wir besonderen Wert auf den Einbezug und den Dialog mit unseren Mitarbeiterinnen und Kolleginnen vor Ort gelegt. Insbesondere unsere Mitarbeiterinnen
und Kolleginnen vor Ort erwarten eine sachliche, konstruktive, pragmatische und vor allem humanitäre Betrachtung der Lage.

Wir sind daher zu der Schlussfolgerung gekommen, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt trotz des Ministerialdekrets unsere humanitären Maßnahmen nicht dauerhaft einstellen werden. Wir erkennen an, dass die Implementierungskapazitäten in vielen Bereichen der NRO-Arbeit durch das Dekret stark beeinträchtigt werden. Dieser massive Eingriff in die Menschenrechte muss daher verurteilt und auch wieder zurückgenommen werden.

Im Sinne unserer bedarfsgerechten und prinzipienorientierten humanitären Hilfe sowie unter Berücksichtigung des Do-No-Harm Ansatzes, halten wir es aufgrund der akuten humanitären Situation im Land aber gleichzeitig für erforderlich und gerechtfertigt, den am stärksten gefährdeten Menschen im Land, die zum Überleben dringend auf Hilfe angewiesen sind, diese Hilfe auch nach wie vor zukommen zu lassen.

Eine Einstellung unserer humanitären Maßnahmen oder ein gänzlicher Rückzug von Help aus Afghanistan würde vor allem die vulnerabelsten Menschen und damit vor allem auch die Frauen und Mädchen im Land massiv treffen, ihre Lebensbedingungen noch weiter dramatisch verschärfen und die humanitäre Notlage in kürzester Zeit erheblich verschlechtern.

Entsprechend werden wir versuchen, die Lage mit kreativen Lösungen so gut wie möglich zu überbrücken, um das größtmögliche Maß an humanitärer Hilfe zu leisten, was uns unter den aktuellen Bedingungen möglich ist. Nur durch unsere weitere Präsenz vor Ort haben wir die Möglichkeit, den Kontakt zu Frauen und Mädchen im Land zu halten, um ihnen die entsprechende Unterstützung auch weiterhin zukommen lassen zu können und sie nicht zurückzulassen. In unserer Projektarbeit verfügen wir über die entsprechenden Verfahren, um diese zielgruppenspezifische humanitäre Hilfe sicherzustellen. Dies ist Help auch in den vergangenen über 40 Jahren im Land gelungen.

 

“Keep women empowered through work”

Viele unserer Kolleginnen fürchten den Verlust ihrer Arbeitsplätze und ihres Einkommens. Help hat sich daher in Interpretation des Ministerialdekrets zu einer Doppelstrategie entschieden: die Kolleginnen sollen – auch zu ihrem Schutz – zunächst nicht mehr in den Help-Büros oder in den Ausbildungszentren eingesetzt werden. Gleichzeitig und überall dort, wo das möglich ist, haben wir ihre Tätigkeiten auf mobiles Arbeiten umgestellt. Dies ist insbesondere bei Verwaltungsarbeiten gut umsetzbar.

In anderen Arbeitsbereichen arbeiten wir aktuell an innovativen Methoden, um Dekret-konform, aber auch in Zukunft gemeinsam mit unseren Kolleginnen weiterzuarbeiten. Wir werden auch die Ausnahmen dieses Dekretes (z.B. im medizinischen Bereich) soweit wie möglich nutzen, um unser weibliches Personal in Beschäftigung zu halten. Aktuell laufen daher alle unsere Arbeitsverträge weiter und werden nicht beendet.

Darüber hinaus werden wir vor Ort in Verhandlung mit unseren Ansprechpersonen im Land gehen, um eine Rücknahme oder Abschwächung des Arbeitsverbotes zu ermöglichen.

Auch unter der aktuellen Situation werden wir für die Stärkung von Frauen eintreten und Wege finden, um sie weiter zu beschäftigen.

 

“Wir brauchen echte Verhandlungen für humanitären Raum”

Wir bitten das Auswärtige Amt auf höherer Ebene direkte oder indirekte konkrete Verhandlungen zu führen, um die Lage zu verbessern. Wir verweisen hierbei auch auf Kapitel 9 der “Strategie des Auswärtigen Amtes zur humanitären Hilfe im Ausland” und den Bereich humanitäres Verhandeln im Sinne der Verbesserung des Zugangs.