Entwicklungsminister Dr. Gerd Müller
"Ich wünsche mir mehr Mut"
Im Dezember 2013 wurde Dr. Gerd Müller zum Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ernannt. Im Interview spricht Help mit ihm über aktuelle Themen der Entwicklungszusammenarbeit und darüber, was ihn bewegt.
Herr Minister, die Folgen der Corona-Pandemie treffen viele Länder mit voller Härte. Was kann die Entwicklungszusammenarbeit jetzt tun, welche neuen strategischen Ansätze verfolgt das BMZ nach Aufkommen der Pandemie?
Wir haben nach dem Corona-Ausbruch unsere Strategie sofort angepasst und stärken massiv die Gesundheitsinfrastruktur, die Ernährungssicherung und die Sicherung von Jobs in unseren Partnerländern. Vor allem unterstützen wir die Flüchtlings- und Krisenregionen.
Wir schauen aber auch weiter, etwa in der Gesundheitsprävention: Drei Viertel aller neu auftretenden Infektionskrankheiten sind Zoonosen. Jedes Jahr sterben daran fast 3 Millionen Menschen. Wir setzen den One-Health-Ansatz um und führen so Humanmedizin, Tiermedizin und Agrarökologie zusammen.
Und schließlich bleibt auch nach Corona der Klimaschutz eine entscheidende Aufgabe: Es geht darum, ob Afrika auf Kohle und Öl setzt, wie wir in den 1950ern. Oder ob es durch eine Technologiepartnerschaft gelingt, Afrika zu einem grünen Kontinent der erneuerbaren Energien zu machen.
Die europäische Asyl- und Migrationspolitik ist ein heiß umkämpftes Thema in Brüssel. Sie haben sich mehrfach als Botschafter für ein humanitäres Engagement eingesetzt. Wie sieht die Zukunft der europäischen Asylpolitik aus?
Ich wünsche mir bei der Flüchtlingspolitik mehr Mut und Aufbruch. Es kann nicht sein, dass jedes Land sein eigenes Ding macht. Wir brauchen eine gemeinsame Asylpolitik in Europa, die aufbaut auf Recht und Ordnung. Es kann doch nicht sein, dass Schlepper bestimmen, wer zu uns kommt.
Aber zugleich brauchen wir mehr Investitionen in den Herkunftsländern – dort, wo Not und Elend herrschen.
Ich halte es geradezu für fatal, dass genau dafür im EU-Haushalt die Mittel für die nächsten sieben Jahre gekürzt wurden. Humanität kommt im neuen EU-Konzept zu kurz.
Und schließlich bleibt auch nach Corona der Klimaschutz eine entscheidende Aufgabe: Es geht darum, ob Afrika auf Kohle und Öl setzt, wie wir in den 1950ern. Oder ob es durch eine Technologiepartnerschaft gelingt, Afrika zu einem grünen Kontinent der erneuerbaren Energien zu machen.
Was treibt Sie persönlich an, sich etwa für den Grünen Knopf oder für die Aufnahme von Geflüchteten aus Moria einzusetzen?
Ich habe die Kinder gesehen, die barfuß in stinkenden Chemikalien Leder gegerbt haben für unsere Schuhe. Das prägt. Ein Großteil unseres Wohlstands basiert auf Auslagerung der Produktion, Ausbeutung, Sklavenlöhnen, Raubbau an Mensch und Natur. Das muss ein Ende haben. Wir können nicht immer die Reichen reicher machen auf Kosten der Armen. Deshalb halte ich fairen Handel für den wichtigsten Schritt jeder erfolgreichen Entwicklungspolitik.
Es kann doch nicht sein, dass unsere Kleidung von Frauen genäht wird, die einen Hungerlohn von 20 Cent in der Stunde verdienen.
Fast 80 Millionen Kinder arbeiten weltweit unter ausbeuterischen Verhältnissen, in globalen Lieferketten etwa auf Kaffeeplantagen, in Steinbrüchen und Goldminen.
Sie haben mit dem Grünen Knopf eine „Blaupause“ für ein Lieferkettengesetz ins Leben geschaffen, wie Sie selbst mal sagten. Wie zufrieden sind Sie mit dem Gesetz, das nun auf den Weg gebracht wurde?
Das Lieferkettengesetz ist ein Meilenstein auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit. Für mich war immer entscheidend, dass die gesamte Lieferkette – von der Rohstoffproduktion bis zur Ladentheke in Deutschland – fest im Gesetz verankert ist, und genauso das Verbot von Kinderarbeit und Sklaverei. Wir brauchen jetzt eine einheitliche europäische Regelung und eine neue Welthandelsordnung: vom freien zum fairen Handel.
Was die Regeln angeht, können wir in einer globalisierten Welt nicht im Jahr 1950 verharren. Deshalb habe ich mit WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala aus Nigeria gesprochen. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch hier vorankommen. Dafür ist es wichtig, dass Deutschland ein wirkungsvolles und zugleich machbares Lieferkettengesetz verabschiedet hat, das eine Blaupause für ganz Europa ist.
Gibt es einen Moment auf ihren Reisen und Begegnungen als Minister, den sie nie vergessen werden?
Da denke ich an meinem Besuch in einem Flüchtlingslager in Bangladesch, in dem rund eine Million aus Myanmar vertriebene Angehörige der Rohingya-Minderheit leben. Dort habe ich in einer Hütte mit vertriebenen Frauen gesprochen. Sie haben unter Tränen berichtet, wie Regierungstruppen ihre Dörfer überfallen, sie vergewaltigt und ihre Hütten angezündet haben.
Dann nahmen die Soldaten die Babys und warfen sie in die brennenden Hütten. Man kann kaum glauben, zu welchen Verbrechen Menschen in der Lage sind. Die Frauen sind so unendlich dankbar, dass Deutschland ihnen jetzt vor Ort hilft.
Und solche dramatischen Erlebnisse bestärken mich persönlich, zuhause für mehr Unterstützung zu kämpfen.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten? Was würden Sie sich wünschen?
Dass mehr Menschen und vor allem auch große Konzerne nach einem einfachen, aber wichtigen Prinzip leben: „Der Starke hilft dem Schwachen“.