Helferin vor Ort
"Ich habe gejubelt und vor Freude geweint"
Von 2005 bis 2021 war Kristina Rauland-Yambré für Help im Einsatz. Nach Abschluss ihres Studiums in den Fächern Politikwissenschaften, Französisch und Interkulturelle Kommunikation zog es sie zunächst für Help in den Niger, bevor sie maßgeblich beim Aufbau des Länderbüros in Burkina Faso mitwirkte.
Dort hat sich Help unter anderem erfolgreich für die kostenlose Gesundheitsversorgung für Kinder unter fünf Jahren sowie für schwangere und stillende Frauen eingesetzt. Im Interview berichtet sie von ihrer spannenden Arbeit als Help-Landesdirektorin – und von Momenten, die ihr immer in Erinnerung bleiben werden.
Warum wolltest du in der humanitären Hilfe arbeiten?
Was mich schon seit meiner frühen Schulzeit zu sozialem Engagement angetrieben hat, war, dass ich Ungerechtigkeit nicht ertragen kann.
Ich möchte nicht hinnehmen, dass Menschen und besonders Kinder nicht die gleichen Chancen im Leben haben, weil sie zufällig in einem bestimmten Land, in einer bestimmten Familie oder in einer bestimmten sozialen Schicht geboren sind.
Welcher war der emotionalste Moment in deiner Arbeit?
Als im März 2016 der neu gewählte burkinische Präsident per Dekret die Gesundheitsversorgung für alle Kinder bis 5 Jahre und alle schwangeren Frauen kostenlos machte, habe ich gejubelt und vor Freude geweint.
Seit 2008 hatte Help in Burkina Pilotprojekte durchgeführt, um Frauen und Kindern, die besonders von Mangelernährung und hoher Sterblichkeit betroffen sind, kostenlos Zugang zur Basisgesundheitsversorgung zu gewähren. Das war ein Experiment, um ein übergreifendes soziales Sicherungselement zu testen.
Die Entscheidungsträger wollten lange nichts von einer Verallgemeinerung wissen, aber mit hartnäckigem Plädoyer basierend auf einer großen Anzahl von wissenschaftlichen Studien kamen wir immer weiter voran und konnten die Regierung von Burkina Faso schließlich von der Notwendigkeit der Maßnahme überzeugen.
Der Erfolg ist nicht Help alleine zuzuschreiben, aber auch in der Motivation anderer Partner, die schließlich mit Überzeugungsarbeit leisteten, war Help maßgeblich beteiligt.
Besonders schön war, dass ich diesen emotionalen Moment im März 2016 mit meinen Kollegen von Help in Burkina teilen konnte. Gemeinsam hatten wir das tolle Gefühl, enorm zu einer Reform mit großer Tragweite beigetragen zu haben, die das Leben von allen Burkinerinnen und Burkinern erleichtert.
Dass uns das trotz aller Widrigkeiten gelungen ist, schweißt uns bis heute zusammen und hilft uns immer dann, wenn wir wieder mal vor einer scheinbar unüberwindbaren Aufgabe stehen.
In Burkina Faso haben wir bis heute den Ruf, die NGO zu sein, die die kostenlose Gesundheitsversorgung herbeigeführt hat. Heute, 4 Jahre später unterstützen wir Burkina Faso weiterhin bei der guten Umsetzung aller Maßnahmen, die die flächendeckende Basisgesundheitsversorgung zum Ziel haben. Ein ambitioniertes und lebenswichtiges Unterfangen in einem Land wie Burkina Faso.
Kristina Rauland-Yambré
Was motiviert dich?
Zuallererst das Glück, in einem hochmotivierten Team zu arbeiten. Wenn einer mal einen schlechten Tag hat, ist ganz sicher jemand zur Stelle, der daran erinnert, wie wichtig unsere Arbeit ist und was wir schon erreicht haben:
Jeden Tag arbeiten wir daran, dass Familien neue Perspektiven bekommen, dass Kinder die Chance erhalten, etwas aus ihrem Leben zu machen.
Im Kleinen, wenn wir z.B. einer vertriebenen Familie, die alles verloren hat, ein Dach über dem Kopf, Hygieneartikel und Nahrungsmittel zur Verfügung stellen, aber eben auch im Großen bis hin zur bahnbrechenden Änderungen in der Gesundheitspolitik. Ich kann mir keinen schöneren Job vorstellen.
Welchen Herausforderungen begegnest du bei der Arbeit?
Die größte Herausforderung ist es, wenn man entscheiden muss, wem von den Millionen Bedürftigen die Hilfe zugute kommt, weil nicht genug Mittel vorhanden sind.
Help versucht daher, sich auf bestimmte Regionen zu konzentrieren. Aber trotzdem können wir nicht alle erreichen, die Hilfe benötigen.
Die Krise in Burkina Faso ist trotz ihrer enormen Dimension auch im weltweiten Vergleich immer noch eine leise, eine vergessene Krise.
Ohne Aufmerksamkeit gibt es leider auch nicht genügend Mittel, um alle zu unterstützen und um niemanden mit seiner Not alleine zu lassen.
Stehst du als Frau besonderen Herausforderungen gegenüber?
Leider sind wir im Jahr 2020 noch weit davon entfernt, dass Frauen denselben Respekt und dieselbe Wertschätzung ihrer Arbeit erfahren, wie Männer. Auch hier besteht keine Chancengleichheit. Das erlebe ich bei mir persönlich und auch bei Kolleginnen.
Daran kann ich alleine nichts ändern, versuche aber, Kolleginnen zu fördern und in ihrer Autonomie zu stärken, wo ich kann, und meine männlichen Kollegen auch für diesen Ansatz zu begeistern.
So hoffe ich, einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass die nächste Generation Frauen nicht mehr zusätzlich zur ihrer alltäglichen Arbeit und ihren täglichen Aufgaben permanent für ihre grundlegenden Rechte kämpfen muss.
Woran merkst du persönlich, dass die Arbeit etwas bewirkt?
Das merke ich einerseits im Gespräch mit den Menschen, mit denen wir arbeiten.
Wenn z.B. ein Bauer, der jahrelang nicht von seiner Ernte leben konnte und sich verschulden musste, um seine Familie zu versorgen uns seine Hirseernte zeigt, und ganz erleichert ist, dass er durch das Material und die Schulungen, die er erhalten hat, seine Familie nicht nur ernähren kann, sondern auch noch einen Teil der Ernte verkaufen und den Ertrag in Schulbildung und Gesundheit investieren kann.
Help Burkina lässt aber auch regelmäßig unabhängige Studien durchführen, die die Wirkung unserer Projekte messen. So können wir die wirksamsten Ansätze auch anderen zur Verfügung stellen und uns verbessern, wo wir nicht die erwartete Wirkung erzielt haben.
Gibt es etwas, das du unseren Spenderinnen und Spendern bzw. den Menschen in Deutschland sagen möchtest?
Es ist schwer, sich für Menschen zu interessieren, die tausende Kilometer entfernt sind, für Länder, zu denen man keinen Bezug hat. Darum danke ich allen, die sich mit der Lage der Menschen in Burkina Faso und in anderen Ländern mit eher leisen Krise auseinandersetzen, ihre Stimmen hören oder vielleicht sogar helfen, ihnen eine Stimme zu geben.
Wir sind alle gleichberechtigte Bewohner dieser Welt. Ich denke, dass wir es nur schaffen können, die Welt für uns alle lebenswert zu erhalten, wenn wir aufeinander hören, miteinander sprechen und aneinander denken.