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Auf der Flucht vor dem Krieg
Ich treffe die kleine Familie von Tahany und Amir Al-Absi im Gesundheitszentrum von Sahab, einer Kleinstadt in Jordanien, östlich von Amman. Wie in allen Städten Jordaniens sind hier viele der mehr als 600.000 syrischen Flüchtlinge untergekommen. Nur ein geringer Anteil der Vertriebenen lebt in einem der Lager: Die meisten haben in einfachen Wohnungen an den Rändern der Städte Unterschlupf gefunden und schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch. So auch Tahany Al -Absi, 30, die sich nicht nur um ihre beiden Kinder kümmern muss, sondern auch die Familie mit einer Putzstelle und als Fabrikarbeiterin am Leben hält. Denn ihr Mann Amir, 35, kann das leider nicht mehr. Bis vor vier Jahren war alles gut: Amir hatte in Damaskus eine gut bezahlte Stelle in der Bauindustrie, das junge Paar heiratete und Tahany zog als Hausfrau die beiden Kinder groß. Sie hatten es zu bescheidenem Wohlstand gebracht, hatten eine Wohnung in einem der besseren Vororte in Damaskus gekauft. Freunde, Familie, mal ein Urlaub in den Bergen oder an der syrischen Küste. Doch dann kam der Krieg und das Leben der Familie brach mit einem Schlag zusammen.
Zuerst waren es nur Demonstrationen gegen die Regierung, die sich seit dem März 2011 zu einem Flächenbrand entwickelten, der gegen Ende des Jahres 2011 bereits ganz Syrien in einen bis heute immer unübersichtlicheren Konflikt geführt hatte, der inzwischen mehr als 250.000 Leben gekostet hat. Mehr als 6,6 Mio. Syrer wurden im eigenen Land vertrieben, 4 Mio. Syrer sind inzwischen ins Ausland geflohen. So auch Familie Al-Absi: „Am 13. März 2012 brachen heftige Kämpfe in der Umgebung unseres Wohnortes aus. Wir flüchteten in den Keller unseres Hauses, aber als mein Mann nur kurz nach draußen ging, um Wasser für mich und die Kinder zu holen, schlug in der Nähe eine Mörsergranate ein. Die Splitter zerstörten seine beiden Beine, so dass er bis heute nur mit Krücken laufen kann“, berichtet Tahany. „Als wir wieder aus dem Keller nach oben kamen, war das Haus, in dem unsere Wohnung lag nur noch ein Trümmerhaufen. Wir packten zusammen, was wir tragen konnten und flüchteten zusammen mit Nachbarn in Richtung jordanische Grenze. Auf dem Weg schlugen Granaten neben uns ein, aus Hubschraubern wurden wir beschossen.“ Grausame Erlebnisse, die Sie, Ihr Mann und Ihre Kinder bis heute nicht vergessen konnten.
Die junge Familie kam zunächst in ein jordanisches Flüchtlingslager im Grenzgebiet, zog später nach Sahab in eine kleine Wohnung.
„Mein Sohn hat es wohl am schwersten, die schlimmen Erlebnisse zu verarbeiten. Er konnte anfangs kaum schlafen, hatte Alpträume, fand in der neuen Schule kaum Freunde.“ , erzählt Tahany.
Auch sie leidet seitdem unter Depressionen. Die beiden wurden nun Mitte dieses Jahres auf ein Projekt zur psychosozialen Betreuung von Kriegsflüchtlingen aufmerksam, das Help in Jordanien in Zusammenarbeit mit dem jordanischen Gesundheitsministerium in vier Kliniken in Jordanien anbietet.
„Anfangs hatten wir kaum Patienten, obwohl der Bedarf riesig ist. Aber in unserer Gesellschaft ist es nicht üblich, über seelische Probleme zu sprechen“, berichtet mir Dr. Ghalia Al-Asha, die Ärztin, bei der Samir und Tahany in Behandlung sind und die von Help und der Charité ausgebildet wurde. Aber mittlerweile hat es sich herumgesprochen, dass die Behandlung wirkt und schon über 1.500 Patienten konnte mittlerweile der Weg in ein besseres Leben geebnet werden. So auch bei Samir:
„Ich kann endlich wieder schlafen, in der Schule komme ich viel besser mit und auch jordanische Freunde habe ich inzwischen gefunden“ ,sagt mir der kleine Syrer schüchtern.
„Und dies nach nur fünf längeren Behandlungen“, ergänzt Dr. Al-Asha. Ich sehe die Bilder, die Samir während der Therapie gemalt hat. Große Hubschrauber, kleine, weinende Menschen, keine Sonne, wie sonst auf Kinderbildern, nur dunkle Wolken. Jetzt aber kann er wieder lachen und freut sich schon auf den Nachmittag auf dem Spielplatz. Bis es aber seiner Mutter besser geht, wird es noch etwas dauern, meint Dr. Al-Asha. „Erwachsene sind da oft nicht so offen für eine Therapie wie Kinder“, konstatiert sie. „Aber ich bin optimistisch, dass es der ganzen Familie bald wieder besser geht. Sie brauchen Geduld, denn sie haben viel Schlimmes erlebt.“ Denn auch Amir hat Aussicht auf eine Behandlung seiner verletzten Beine. „Auch wenn solch eine Operation teurer ist“, sagt Dr. Al-Asha mit einem Lächeln. „Ein kaputtes Bein lässt sich letztendlich leichter heilen als eine zerstörte Seele.“
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Berthold arbeitet als unser Nothilfe-Koordinator und engagiert sich immer da, wo unsere Hilfe akut gebraucht wird.
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